Gerda Mieß

Gerda Mieß veröffentlichte auch unter den Familiennamen Miess, Miess-Herbert und Herbert.

* 4. Januar 1896 Bistritz (Österreich-Ungarn) † 8.(?) Juli 1954 Heltau (Rumänien)

von Stefan Sienerth

Leben und Werk

Gerda Mieß, Tochter eines Gewerbeschullehrers, wurde am 4. Januar 1896 in Bistritz (rum. Bistriţa, ung. Beszterce) geboren, wo sie eine unbeschwerte Kindheit und Jugend verbrachte. Die Autorin wuchs in einem Kreis von mehreren Geschwistern und einer ansehnlichen Zahl von Kostkindern auf, die von den Eltern gehalten wurden, um ihr mäßiges Einkommen zu verbessern. Diese „sonnige Welt“, wie sie Mieß rückblickend bezeichnete, bildet den biogra­fischen Hintergrund für ihre Jugendgedichte, die die Gymnasiastin um das Jahr 1910 in eigens hierfür bestimmte Hefte einzutragen begann. Mit den Jahren dürften es rund 700 Gedichte geworden sein, von denen zu Lebzeiten der Dichterin lediglich rund 30 – unter anderem im Klingsor und in Von der Heide – veröffentlicht worden sind.

Die ersten dichterischen Versuche sind Texte konventioneller Machart, die – in altvertrauten Reimen und Rhythmen verfasst – bewährte lyrische Formen und Formulierungen, vor allem jene Heines und Mörikes, erkennen lassen. An Erlebnisgehalt und poetischer Überzeugungskraft gewannen ihre Liebes- und Naturgedichte erst, als an die Stelle der nicht genau bestimmbaren Sehnsucht ein reales Liebesverhältnis trat. Vor allem die Freundschaft und spätere Heirat mit dem Heltauer Apotheker Julius Herbert, den Mieß einige Monate nach ihrem Gymnasiumsabgang ehelichte und mit dem sie eine, wenn auch nicht krisenfreie, aber letzten Endes doch gute Ehe führte, waren Anlass zu einer ganzen Reihe von Liebes- und Naturgedichten, die zu den besten der Dichterin gerechnet werden. Was diese Liebesgedichte von den ersten Versuchen Mieß’ und auch von jenen anderer siebenbürgisch-deutscher Lyrikerinnen unterscheidet, ist vor allem die für jene Zeit unverblümte Art, in der Intimes und Erotisches ausgedrückt werden. Das überschwängliche Gefühl, das in einer emphatischen Redeweise zum Ausdruck drängt, lässt auch tradierte Bilder unverbraucht erscheinen und schmilzt übernommene Wendungen in die eigene Diktion ein.

Eine neue Ausrichtung in der Thematik und weniger in der künstlerischen Gestaltung, da Mieß die einmal erprobten Muster nicht aufgab, zeichnet sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ab. Die Angliederung Siebenbürgens an Rumänien, die Übersiedlung (1918) der Dichterin mit ihrer Familie aus dem vertrauten nordsiebenbürgische Bistritz in das anfangs ihr fremde südsiebenbürgische Heltau (rum. Cisnădie, ung. Nagydisznód), finanzielle Schwierigkeiten und familiäre Sorgen sowie die allgemeine politische Unsicherheit jener Jahre blieben nicht ohne Einfluss auf ihre Texte. In den Natur- und Liebesgedichten aus dieser Zeit ist eine verhaltene Klage nicht zu überhören. Das ehemals mit viel Leidenschaft vorgebrachte Liebesgefühl weicht gedämpfteren Tönen, und wenn in ihren früheren Texten vornehmlich der Frühling die Kulisse für ihr Liebesleben abgab, so sind es in den Versen ihrer mittleren Periode vor allem der Herbst, die Nacht und der Mond, die sie als Stimmungsträger einsetzt, um die Kühle sowohl in den menschlichen Beziehungen als auch im politischen und sozialen Bereich jener Jahre hervorzuheben.

Auch in den letzten Lebensjahren der Dichterin haben sich die Gegenstände ihrer Lyrik wie auch ihr ästhetisches Konzept kaum gewandelt. Natur, Liebe – jetzt vor allem als Form zwischenmenschlicher Beziehung – und der persönliche Alltag sind weiterhin ihre bevorzugten Themen, doch unter dem Eindruck zeitgeschichtlich bedeutsamer Ereignisse (Zweiter Weltkrieg, Nachkriegszeit, Deportation, Enteignung) gelangen vor allem solche lyrischen Bilder zur Anwendung, in denen nicht bloß das Innenleben der Dichterin sichtbar wird, sondern auch die Zeitverhältnisse. In zunehmender Vereinsamung – ein Sohn fiel in der Sowjetunion, der andere kehrte nicht mehr nach Hause zurück, ihr Mann starb in den ersten Nachkriegsjahren – begann sich Mieß immer mehr von der Welt abzukapseln. Eine schwere Krankheit, die sich im beginnenden Alter einstellte, führte ihren vorzeitigen Tod herbei. In den Texten aus dieser Zeit nehmen Angst und Resignation eine zentrale Stelle ein, als Refugium dienten der Dichterin nach wie vor Landschaft, Kunst, Religion, die ihr auch heitere Augenblicke schufen.

Archivsituation

Der Nachlass von Gerda Mieß befindet sich im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien in Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszeben). Er wurde dort erschlossen und ist benutzbar. Hier befinden sich neben Materialien zum Leben der Autorin auch zahlreiche bislang nicht veröffentlichte Gedichte sowie das Manuskript zu einem Roman.

Werke

Sammelband

  • Gedichte. Aus dem Nachlass hg. von Stefan Sienerth. Bukarest, Kriterion, 1987.

Einzelveröffentlichungen (Auswahl)

  • Totenmaske (1914). In: Ostland 2 (1920) H. 7, S. 315.
  • Tanz. In: Ostland 2 (1920) H. 8, S. 364.
  • Gedichte (Mutterwunsch, Ich las ein Märchen, Nächte, Mein wahres Leben). In: Ostland 3 (1921) H. 19, S. 551f.
  • Aus meinem Briefwechsel mit Luxemburg. In: Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt 8. November 1923.
  • Zuflucht zu Gott (Gedicht). In: Glaube und Heimat. Evangelisches Gemeindeblatt 1 (1923) H. 42, S. 165.
  • „In Treue“ (Prosa). In: Siebenbürgisch Deutsches Tageblatt 26. Juli 1924.
  • Dahin (Gedicht). In: Osterreichische Woche 1 (1924) H. 13, S. 2.
  • Über Erziehung (Statemant). In: Glaube und Heimat. Evangelisches Gemeindeblatt 2 (1924) H. 19, S. 74f.
  • Nachtwind (Gedicht). In: Oesterreichische Woche 2 (1925) H. 1, S. 4.
  • Ostland-Hymne. In: Neuer Volkskalender für Stadt und Land 23 (1927).
  • Vier Gedichte von Gerda Mieß (Narrentum, Nacht, Liebe, Weiterleben). In: Kronstädter Zeitung. Tageblatt für Politik und Volkswirtschaft in Großrumänien 16. Mai 1928.
  • Drei Gedichte von Gerda Mieß [Ewigkeit, Dies Eine, Der Wind]. In: Kronstädter Zeitung 27. Mai 1928.
  • Gruß an Luxemberg (Gedicht). In: Obermosel-Zeitung. Unabhängiges Tageblatt 12. Juni 1928.
  • Gruß an Luxemburg. In: Kronstädter Zeitung 15. Juli 1928.
  • Meinem Großvater. In: Kronstädter Zeitung 12. August 1928.
  • Kunst und Schrifttum. Anna Hillaria von Eckhel: „Die sieben Geier“ (Buchrezension). In: Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt 30. August 1928.
  • Aus meinem Briefwechsel mit Luxemburg. In: Obermosel-Zeitung. Unabhängiges Tageblatt 16. Januar 1929.
  • Zwei Luxemburger Nationaldichter. In: Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt 3. April 1929.
  • Gruß an Luxemburg (Gedicht). In: Junge Welt. Literatur – Kunst – Sport – Schönheit 1 (1929) H. 6–7, S. 121.
  • Weiterleben (Gedicht). In: Junge Welt.  Literatur – Kunst – Sport – Schönheit 1 (1929) H. 8, S. 148.
  • Narrentum (Gedicht). In: Junge Welt. Literatur – Kunst – Sport – Schönheit 1 (1929) H. 9, S. 172.
  • Bericht über die Vertreterinnentagung des Freien Sächsischen Frauenbundes vom 22. bis 24. 1930 in Fogarasch. In: Frauenblatt (Hermannstadt) 4. Juni 1930.
  • Schrifttum. Prof. Joh. Heß: „Luxemburger Volkskunde“. In: Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt 12. Oktober 1930.
  • Gebet. In: Kirchliche Blätter aus der ev. Landeskirche A.B. in Rumänien 22 (1930), H. 44, S. 439.
  • Mischehen (Kommentar). Bistritzer Deutsche Zeitung 10. Februar 1931.
  • Nacht (Gedicht). In: Obermosel-Zeitung. Unabhängiges Tageblatt 29. September 1931.
  • Unter Großmutters Regiment (Kurzer Prosatext). In: Obermosel-Zeitung. Unabhängiges Tageblatt 21. September 1931.
  • Ein Herbsttag (Kurzer Prosatext). In: Obermosel-Zeitung. Unabhängiges Tageblatt 5. Oktober 1931.
  • Von meinen Luxemburger Freunden. In: Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt 8. Oktober 1932.
  • Des Lehrers Arbeit Gedicht. In: Heltauter Nachrichtenblatt 25. März 1933.
  • Aus einem Tagebuch. Vortrag gehalten in einem Frauenabend von Frau Gerda Herbert. In: Heltauer Nachrichtenblatt 10. Juni 1933 (23. Folge), 17. Juni 1933 (24. Folge) 24. Juni 1933 (25. Folge). [Fortsetzungen]
  • Um den Retter (Gedichte). In: Klingsor 12 (1935) H. 6, S. 217f.
  • Legende. In: Obermosel Zeitung 28. Januar 1938.
  • Gassen, Brücken und Wege. In: Heltauer Nachrichtenblatt 24. September 1938.
  • Mond: In: Kalender des Siebenbürger Volksfreundes für das gemeine Jahr 70 (1939), S. 113.
  • Am Strom, Heimkehr. In: Klingsor 16 (1939) H. 3, S. 89f.
  • Kriegsweihnacht. In: Kirchliche Blätter der evangelische Landeskirche A.B. in Rumänien. Weihnachts-Sondernummer für unsere Soldaten 1942, S. 4.
  • Dennoch, Ewigkeit, Tanz, März, Mond. In: Ausklang. Anthologie Siebenbürgisch-deutscher Lyrik der Zwischenkriegszeit. Hg. von Stefan Sienerth. Klausenburg, Dacia, 1982, S. 113–116.
  • Ich sehne mich nach einer Frühlingsnacht, Dass ich mich ohne Scheu an dich verschwende, Abendschein. In: Neuer Weg 7 November 1987.

Sekundärliteratur

  • Olga Hörler: Wer ist sie? In: Siebenbürgisch-sächsisches Tageblatt 5. Dezember 1923, S. 4f.
  • Harald Krasser: Vom Anteil der Frauen an der deutschen Dichtung Siebenbürgens. In: Klingsor 16 (1939) H. 3, S. 100–105.
  • Stefan Sienerth: „Raum für alle hat die Erde“. Aus den Briefen von G. M. an Olga Hörler. In: Neue Literatur 38 (1987) H. 12, S. 64–70.
  • Hans Bergel: „Bin ich dir nur ein fremder Gast?“ Erinnerungen an die Lyrikerin G. M. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 45 (1996) H. 4, S. 296–301.

Publikationen (Auszüge) zum Download

Weblinks


Zitation

Stefan Sienerth: Gerda Mieß. In: Donau-Karpaten-Literatur: Lexikon zur deutschsprachigen Literatur aus Zentral- und Südosteuropa (2019). URL: https://dokalit.ikgs.de/miess-gerda (Stand: 01.10.2024).

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