Karin Gündisch

* 5. April 1948 in Heltau (Rumänien)

von Doris Roth

Leben und Werk

Quelle: Monsoon – selbst fotografiert, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3075153

Karin Gündisch verbrachte ihre Kindheit und Jugend in ihrem Geburtsort Heltau (rum. Cisnădie, ung. Nagydisznód), wo sie auch die Schule besuchte. Nach deren Abschluss ging sie zunächst nach Klausenburg (rum. Cluj-Napoca, ung. Kolozsvár) und dann nach Bukarest, um Deutsch und Rumänisch zu studieren. In Bukarest arbeitete sie bis zu ihrer Auswanderung nach Deutschland als Deutschlehrerin und freie Mitarbeiterin bei den rumäniendeutschen Publikationen Neuer Weg und Neue Literatur sowie bei Rundfunk und Fernsehen, entwickelte Deutschlehrbücher mit und konnte erste Kindergeschichten veröffentlichen. Nach ihrer Ausreise im Herbst 1984 lebte sie als freischaffende Autorin in Bad Krozingen bei Freiburg; Anfang 2018 zog sie nach Hamburg.

Ihre ersten beiden Bücher, Didel und Düdel und andere Dingsgeschichten (1980) sowie die mit dem Rumänischen Kinderbuchpreis ausgezeichneten Lügengeschichten (1983),  erschienen im Bukarester Verlag Ion Creangă und sollten wegweisend sein: Karin Gündisch hat seitdem – mit einer Ausnahme – ausschließlich Bücher für junge Leser publiziert. 1984 erschien Geschichten über Astrid (Neuauflage2009), das mit dem ersten Peter-Härtling-Preis für Kinderliteratur ausgezeichnet wurde; das fertige Manuskript war mit der Autorin aus Rumänien nach Deutschland ausgereist. Es folgten Im Land der Schokolade und Bananen. Zwei Kinder kommen in ein fremdes Land (1987), Weit, hinter den Wäldern (1988; Neuauflage 2010), In der Fremde und andere Geschichten (1993), Großvaters Hähne. Geschichten aus einem anderen Land (1994; Neuauflage 2011), Peter und der alte Teddy (1997), Das Paradies liegt in Amerika. Eine Auswanderergeschichte (2000; als englische Ausgabe unter dem Titel How I Became An American 2002), Ein Brüderchen für Lili (2000), Cosmin. Von einem, der auszog, das Leben zu lernen (2005), Mia und Tante Milda. Eine Babysittergeschichte (2005), Lilli findet einen Zwilling (2007), Die Kinder von Michelsberg (2011) und George oder Vom aufrechten Gang des Menschen (2013). Der bisher einzige Roman für Erwachsene, Liebe. Tage, die kommen, erschien 1994.

2008 wirkte Gündisch an einem Projekt des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland mit: Für die Doppel-CD Et wor emol… wurden aus über 250 Stunden Tonaufnahmen von Sprechern aus Siebenbürgen, die zwischen 1966 und 1975 von den Sprachwissenschaftlern Ruth Kisch und Heinrich Mantsch vom Linguistik-Institut Bukarest (Institutul de Linguistică „Iorgu Iordan – Alexandru Rosetti”) aufgenommen worden waren, 29 Märchen von Josef Haltrich und den Brüdern Grimm in siebenbürgisch-sächsischer Mundart ausgewählt. Karin Gündisch verfasste und sprach einleitende Worte zu jedem Märchen.

Karin Gündischs Bücher sind thematisch und emotional tief verwurzelt in der im dörflichen Siebenbürgen verbrachten Kindheit, in ihrer „Muttersprache“, wie sie die vertraute siebenbürgisch-sächsische Mundart nennt, und in der Erfahrung ihrer Ausreise. Der Verlust der Heimat, des Vertrauten in all seinen Facetten (geografisch, sprachlich, familiär), die Ankunft in der Fremde, Identitätsbildung und -findung sind wiederkehrende Themen, die sie aus gekonnt kindlicher Perspektive aufzubereiten und erzählerisch zu verwerten weiß. Wegen der einfachen, aber keinesfalls einfallslosen, klar verständlichen Sprache fanden viele ihrer Texte Eingang in Deutschlehrbücher. Ihre Werke wurden ins Rumänische, Kroatische, Slowenische, Englische, Französische, Japanische und Koreanische übersetzt. Zweisprachige Ausgaben (Deutsch/Rumänisch) erschienen von Cosmin. Von einem, der auszog, das Leben zu lernen/Povestea lui Cosmin care a plecat de acasă să cunoască viaţa (2012) und Das Paradies liegt in Amerika/Paradisul este în America (2015), beide im Bukarester Niculescu Verlag, übertragen von der Germanistin Prof. Dr. Mariana-Virginia Lăzărescu.

Karin Gündisch wurde für ihr literarisches Schaffen vielfach ausgezeichnet. Auf den Rumänischen Kinderbuchpreis und den Peter-Härtling-Preis für Kinderliteratur (beide 1984) folgten der Kinderbuchpreis der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats (1991) für Im Land der Schokolade und Bananen, ein Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (2001) und der Mildred L. Batchelder Award (2002) für „das hervorragendste ins Englische übersetzte“ und in den USA verlegte Kinderbuch des Jahres, How I Became an American, das auch als „Notable Children’s Book“ in die Empfehlungsliste der amerikanischen Bibliotheken aufgenommen wurde. Dazu kamen der dritte Preis beim Kurzgeschichtenwettbewerb „Der Oberrheinische Rollwagen“ (2004) für Mili und Tante Milda, der LesePeter (Preis der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) im Oktober 2005 für Cosmin sowie ein Stipendium der Kinder- und Jugendbuchautorenresidenz des Großherzogtums Luxemburg, verbunden mit einem vierwöchigen Aufenthalt in Echternach (2005). Seit 2013 ist Karin Gündisch Ehrenbürgerin ihres Geburtsortes Heltau; 2016 wurde sie mit dem für besondere Verdienste in der Kirchengemeinde und der Stadt Heltau verliehenen Walburgapreis geehrt.

Rezeption

Auszüge aus Karin Gündischs Erzählungen für Kinder fanden Eingang in verschiedene Lehrwerke für Deutsch beziehungsweise Deutsch als Fremdsprache. Diese Entwicklung begann Ende der 1970er-Jahre, als sie in Rumänien lebte und noch keine eigenen Bücher veröffentlicht hatte. Sie arbeitete an der Entwicklung von Deutschbüchern für rumänische Schulen mit und schrieb für diese erste Kurzgeschichten, von denen einige in der rumäniendeutschen Presse erschienen. Eine befreundete Journalistin vermittelte den Kontakt zum Bukarester Verlag Ion Creangă – der Weg zum ersten eigenen Kinderbuch Didel und Düdel und andere Dingsgeschichten (1980) war geebnet.

Nach ihrer Ausreise nach Deutschland 1984 wurde man auch dort schnell auf sie aufmerksam; davon zeugt das Erscheinen der Geschichten über Astrid im selben Jahr sowie die ebenfalls prompte Auszeichnung mit dem Peter-Härtling-Preis für Kinderliteratur. Besonders gut aufgenommen wurde ihr zweites in Deutschland publiziertes Buch Im Land der Schokolade und Bananen. Zwei Kinder kommen in ein fremdes Land (1987). Sehr beliebt als Schullektüre, erlebte es mehrere Auflagen und wurde und wird von der Autorin selbst bei zahlreichen Schullesungen (die bis heute einen großen Teil ihrer Arbeit ausmachen) vorgestellt. Vier verschiedene Werke mit Unterrichtsmaterialien und Lehrerhandreichungen erschienen zum genannten Titel, eines davon in deutscher Sprache in Lettland. Die in Gündischs Büchern wiederkehrenden Themen Fremd- und Anderssein, Heimatverlust, Identitätsfindung und Vorurteile lassen sich anhand von Im Land der Schokolade und Bananen besonders gut im Schulunterricht aufbereiten und sind angesichts der Flüchtlingssituation in Europa aktueller denn je. Zum Thema Anderssein hat Petra-Melitta Roşu 2015 in der Zeitschrift Kултура / Culture den Aufsatz „Overcoming Otherness. Considerations on Intercultural Aspects in Karin Gündisch’s Novels“ veröffentlicht.

Mit der Deportation der Rumäniendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, die Karin Gündisch in Weit, hinter den Wäldern (1988) thematisiert, beschäftigt sich der Band Die Deportation der Rumäniendeutschen im Spiegel der schönen Literatur: Versuch einer Bestandsaufnahme (2016) des Germanisten Michael Markel. Neben Gündisch werden darin zum Vergleich Werke der rumäniendeutschen Autoren Johann Lippet und Herta Müller herangezogen.

Die Germanistin Mariana-Virginia Lăzărescu brachte 2009 die vergleichende Studie „Schau, das Leben ist so bunt“. Selma Meerbaum-Eisinger, Karin Gündisch und Carmen Elisabeth Puchianu: drei repräsentative deutsch schreibende Autorinnen aus Rumänien heraus, in der sie Gündischs Cosmin. Von einem, der auszog, das Leben zu lernen (2005) ausführlich analysiert und davon ausgehend eine Betrachtung der Situation der Roma in Europa liefert. Unter dem Gesichtspunkt der Interkulturalität nähert sie sich in ihrem Aufsatz „Interkulturelle Aspekte in der Freundschaftsgeschichte Lilli findet einen Zwilling von Karin Gündisch“ (erschienen 2010) einem weiteren Werk von Karin Gündisch. Lăzărescu zeichnet auch verantwortlich für die rumänischen Texte der zweisprachigen Ausgaben von Cosmin (2012) und Das Paradies liegt in Amerika (2015).

Der Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin veröffentlichte 2014 den Band Was im Gedächtnis bleiben soll: das literarische Werk von Karin Gündisch. Er beinhaltet 20 von ihm verfasste Beiträge zu allen bisher erschienenen Büchern der siebenbürgischen Autorin und stellt einen wertvollen Überblick über ihr Werk in chronologischer Reihenfolge dar.

Ein Schmankerl im Sinne des Wortes ist Gerhild Rudolfs Aufsatz Durch Essgewohnheiten geprägt. Gastrosophische Perspektive als Herangehensweise an transkulturelle Kinderbücher, der 2013 in der Zeitschrift EPIKUR. Journal für Gastrosophie, der Online-Publikation des Zentrums für Gastrosophie an der Universität Salzburg, erschienen ist. Die Autorin untersucht darin anhand des Buchs Großvaters Hähne (1994) ‒ mit Verweisen auf Im Land der Schokolade und Bananen (1987) sowie Das Paradies liegt in Amerika (2000) ‒ die Zusammenhänge von Migration, Ernährung und Identität und zeigt auf, wie prägend Ess- und Kochgewohnheiten sind.

Archivsituation

Das Archiv der Autorin, das auch zahlreiche in Rumänien verfasste und bislang nicht publizierte Tagebücher enthält, befindet sich in Privatbesitz.

Tagebucheintrag von Karin Gündisch vom 21. November 1982. Privatbesitz Karin Gündisch
Tagebucheintrag von Karin Gündisch vom 21. November 1982. Privatbesitz Karin Gündisch

Werke

  • Didel und Düdel und andere Dingsgeschichten. Bukarest, Ion Creangă, 1980.
  • Lügengeschichten. Mit Illustrationen von Angi Petrescu Tipǎrescu. Bukarest, Ion Creangă, 1983.
  • Geschichten über Astrid. Erzählung. Mit Bildern von Angelika Schuberg und zwei Vor-Geschichten von Peter Härtling. Weinheim, Beltz & Gelberg, 1984.
  • Im Land der Schokolade und Bananen. Zwei Kinder kommen in ein fremdes Land. Mit Bildern von Peter Knorr. Weinheim, Beltz & Gelberg, 1987.
  • Weit, hinter den Wäldern. Weinheim, Beltz & Gelberg, 1988.
  • In der Fremde und andere Geschichten. Weinheim, Beltz & Gelberg, 1993.
  • Liebe – Tage, die kommen. Freiburg, Kore, 1994.
  • Großvaters Hähne. Geschichten aus einem anderen Land. Mit Bildern von Julian Jusim. München, Hanser, 1994.
  • Peter und der alte Teddy. Hamburg, Carlsen, 1997.
  • Das Paradies liegt in Amerika. Eine Auswanderergeschichte. Weinheim/Basel, Beltz & Gelberg, 2000.
  • Ein Brüderchen für Lili. Mit Bildern von Bettina Gotzen-Beek. Freiburg/Wien/Basel, Kerle bei Herder, 2000.
  • Cosmin. Von einem, der auszog, das Leben zu lernen. München, dtv, 2005.
  • Mia und Tante Milda. Eine Babysittergeschichte. Mit Bildern von Sabine Wiemers. Freiburg/Wien/Basel, Kerle bei Herder, 2005.
  • Lilli findet einen Zwilling. Düsseldorf, Sauerländer, 2007.
  • „Et wor emol “ Märchen in siebenbürgisch-sächsischer Mundart – Aufnahmen aus den Jahren 1966 bis 1975 in Siebenbürgen mit Zwischentexten von Karin Gündisch. München, Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, 2008.
  • Die Kinder von Michelsberg. Bonn/Hermannstadt, Schiller, 2011.
  • George oder vom aufrechten Gang des Menschen. Bonn/Hermannstadt, Schiller, 2013.

Sekundärliteratur

  • Ellen Schulte-Bunert, Dorthe Wieting: Wo liegt denn bloß das Land der Schokolade und Bananen? Das Kinderbuch von Karin Gündisch im projektorientierten Deutschunterricht einer dritten Grundschulklasse. Flensburg, Bildungswiss. Hochschule Flensburg, Univ., Abt. Deutsch als Zweit-/Fremdsprache, 1994.
  • Hannelore Daubert (Hg.): Karin Gündisch. Im Land der Schokolade und Bananen. Lehrerbegleitheft. Weinheim, Beltz & Gelberg, 1995.
  • Ursula Kiermeier (Hg.): Karin Gündisch. Aufsatzsammlung. Krakau, Goethe-Institut, 1996,
  • Reinis Bahs: Unterrichtsvorschläge zu Karin Gündischs „Im Land der Schokolade und Bananen“. Riga, RaKa, 1997.
  • Karin Gündisch: „Das Erfinden von kleinen Geschichten macht mich glücklich“. In: Stefan Sienerth (Hg.): „Daß ich in diesen Raum hineingeboren wurde“. Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa. München, Südostdeutsches Kulturwerk, 1997, S. 255‒267.
  • Mariana-Virginia Lăzărescu: „Schau, das Leben ist so bunt“. Selma Meerbaum-Eisinger, Karin Gündisch und Carmen Elisabeth Puchianu – drei repräsentative deutsch schreibende Autorinnen aus Rumänien. Berlin, wvb, 2009.
  • Mariana-Virginia Lăzărescu: „Interkulturelle Aspekte in der Freundschaftsgeschichte Lilli findet einen Zwilling von Karin Gündisch“. In: Temeswarer Beiträge zur Germanistik 7 (2010), S. 283‒292.
  • Stefanie Müller: „Im Land der Schokolade und Bananen“ im Unterricht. Lehrerhandreichung zum Kinderroman von Karin Gündisch. Weinheim/Basel, Beltz & Gelberg, 2010.
  • Gerhild Rudolf: „Durch Essgewohnheiten geprägt. Gastrosophische Perspektive als Herangehensweise an transkulturelle Kinderbücher“. In: EPIKUR. Journal für Gastrosophie 5 (2013) H. 2. Online unter: <http://www.epikur-journal.at/de/ausgabe/detail.asp?id=464&art=Artikel&tit=Durch%2520Essgewohnheiten%2520gepraegt%2E%2520Gastrosophische%2520Perspektive%2520als%2520Herangehensweise%2520an%2520transkulturelle%2520Kinderbuecher>, 8. Februar 2019.
  • Volker Ladenthin: Was im Gedächtnis bleiben soll. Das literarische Werk von Karin Gündisch. Hermannstadt/Bonn, Schiller, 2014.
  • Michael Markel: Die Deportation der Rumäniendeutschen im Spiegel der schönen Literatur: Versuch einer Bestandsaufnahme. Nürnberg, Haus der Heimat, 2016.

Weblinks


Zitation

Doris Roth: Karin Gündisch. In: Donau-Karpaten-Literatur: Lexikon zur deutschsprachigen Literatur aus Zentral- und Südosteuropa (2019). URL: https://dokalit.ikgs.de/guendisch-karin (Stand: 14.7.2024).

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