Fritz Naschitz

* 21. Mai 1900 (Wien, Österreich-Ungarn) † 24. März 1989 (Tel Aviv, Israel)

von Eduard Schneider

Leben und Werk

Fritz Naschitz kam 1906 mit den Eltern – die Mutter stammte aus Schlesien – in die Heimatstadt seines Vaters, nach Temeswar (rum. Timișoara, ung. Temesvár) im Banat (Ungarn). Dort besuchte er die Volksschule und das Gymnasium und wurde nach der Matura Redakteur eines Wochenblatts. Im Temeswar erlebte er die politischen Umbrüche nach dem Ersten Weltkrieg, die auch die Angliederung der Banater Hauptstadt an Rumänien zur Folge hatten. Seine ersten literarischen Versuche – frühe Gedichte und Prosa, auch Übersetzungen aus dem Ungarischen – erschienen in dieser Zeit in der Lokalpresse, so in der Temesvarer Zeitung, die 1919 auch ein Gedicht von Béla Balázs in seiner Übertragung veröffentlichte. Vorträge bei literarischen Matineen belegen sein Interesse an zeitgenössischer deutscher Literatur, unter anderem am Werk Gerhart Hauptmanns. Nach einem juristischen und technischen Studium in Ungarn, Deutschland und Frankreich kehrte Naschitz nach Rumänien zurück und ließ sich als Industrieller zunächst in Bukarest (1924–1931) und von 1932 bis 1939 im siebenbürgischen Kronstadt (rum. Brașov, ung. Brásso) nieder. Seit 1924 gehörte Naschitz der Temeswarer Freimaurer-Gesellschaft „Schlaraffia“ an. Er war Vorstandsmitglied zionistischer Organisationen.

1940 wanderte Naschitz nach Tel Aviv im damaligen Palästina aus, wo der Unternehmer Mitglied des Präsidiums des Industriellenverbandes wurde. Auf Auslandsmissionen (1946, 1948) beförderte er die Erschließung von Auslandsmärkten für die israelische Industrie. Seit 1949 war er isländischer Honorarkonsul; später wurde er Generalkonsul und war Doyen des Konsularischen Korps in Israel. 1974 war er Mitbegründer der Vereinigung deutschsprachiger SchriftstellerInnen in Israel und wirkte als deren stellvertretender Vorsitzender. Naschitz war Mitglied des PEN-Zentrums deutschsprachiger AutorInnen im Ausland und Träger des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse. Für seine literarische Tätigkeit wurde er 1972 mit dem Max-Nordau-Preis und dem Theodor-Herzl-Preis geehrt. Der aus der Bukowina stammende Schriftsteller und Publizist Ephraim Pistiner würdigte ihn anlässlich von Jubiläen in den Israel Nachrichten (1980) und im Neuen Israel (1985).

Naschitz veröffentlichte wiederholt Gedichte und Essays in diversen Presseorganen, darunter im Aufbau (New York) und in der Frankfurter Rundschau, und er war Mitarbeiter an jüdischen und israelischen Zeitschriften wie Die Stimme und Israel Nachrichten (beide Tel Aviv), Illustrierte Neue Welt (Wien), Neue Jüdische Nachrichten (München) und Israelitisches Wochenblatt (Zürich). In den Publikationen Maariv und Jedioth Achronoth hat er Beiträge in hebräischer Sprache publiziert.

In der Bundesrepublik Deutschland brachte der Bleicher-Verlag zwei Bücher von Fritz Naschitz heraus, der sich selbst als „israelischer Autor“ bezeichnete. Auch in Anthologien deutschsprachiger Literatur aus Israel ist er aufgenommen worden.

In dem über 600 Seiten starken Band Literarische Essays (1989) sind in chronologischer Folge zwischen 1950 und 1988 entstandene und veröffentlichte, ein breites thematisches Spektrum bedienende Aufsätze, Skizzen und Glossen über Literatur, Kunst, Politik und Gesellschaft enthalten. Unter Beachtung werkimmanenter Charakteristika behandeln diese Beiträge, darunter viele eindringlich-einfühlsame Porträts, die Sondersituation deutsch-jüdischer Literaten (Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Max Brod, Jakob van Hoddis, Yvan Goll, Rose Ausländer, Elias Canetti, Paul Celan, Arnold Zweig, Anna Seghers, Hilde Domin, Jurek Becker) sowie deutsche beziehungsweise österreichische DichterInnen und SchriftstellerInnen in ihrer Beziehung zum Judentum und umgekehrt (Rainer Maria Rilke, Georg Trakl, Hermann Hesse, Thomas Mann und Familie, Marie Luise Kaschnitz, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll). Registriert wird, dass Ödön von Horváth, „halbvergessen“, wieder zur Geltung gelangt sei, nicht zuletzt dank Peter Handke (Horváth ist besser als Brecht). Auch über RepräsentantInnen der internationalen Literatur, unter ihnen der Nobelpreisträger Ivo Andrić und der in Budapest geborene Arthur Koestler, sowie über namhafte französische, englische, italienische, amerikanische, isländische und finnische AutorInnen schreibt Naschitz. Seine Erinnerungen erzählen unter anderem vom rumänischen Diplomaten und Politiker Nicolae Titulescu, den Naschitz als Beauftragter des Prager Tagblatts bei einer Pressekonferenz in Bukarest beobachten konnte, und von dem in der Zwischenkriegszeit erfolgreichen, dann aus Ungarn emigrierten Romancier Ferenc Körmendi, der sein Schwager war. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem geistigen und politischen Leben Israels von Theodor Herzl bis in die neuere Zeit. Die eingehendste Darstellung erfährt die Persönlichkeit des Religionsphilosophen und Bibelübersetzers Schalom Ben-Chorin, ursprünglich Fritz Rosenthal, der, Schüler und Mitarbeiter von Martin Buber, einer der bedeutendsten Förderer des christlich-jüdischen Dialogs war und als Vermittler zwischen jüdischem und deutschem Geistesleben wirkte. Gewürdigt wird auch die mit der Yad-Vashem-Medaille geehrte Deutsche Marie-Luise Hensel, eine Jugendfreundin von Marie Luise Kaschnitz, die deren selbstloser Aufopferung eine Novelle widmete und mit Naschitz darüber im Briefwechsel stand.

Rezeption

In seinem Vorwort zu den Essays schrieb der damalige deutsche Botschafter in Israel, Niels Hansen, über Naschitz: „Güte, Liberalität, Versöhnlichkeit und Humor, gepaart mit Tiefsicht, Differenzierungsvermögen und intellektueller Eleganz“ seien in der Person dieses Homme de Lettres verkörpert. Er stelle „ein vorzügliches Beispiel für die engen geistigen und kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen Israelis und Europäern, zwischen Juden und Christen dar“ und habe auch „bei der Anknüpfung der Beziehungen zwischen Israel und Deutschland nach der Katastrophe […] weitsichtig eine konstruktive Rolle gespielt.“ Die in Tel Aviv lehrende Germanistin Margarita Pazi hielt fest: „Die bildreiche Sprache F. N.’, die aus dem Boden und der Kultur der Donaumonarchie stammt, setzt sich in der literarischen Stiltradition und -form ab, die dem Geschilderten einen plastischen Hintergrund verleiht und die Vermittlung der Darstellungsintention fördert.“

Naschitz war auch Übersetzer und Herausgeber einer Anthologie ungarischer Exillyrik, in der 40 DichterInnen rund 200 Gedichten vertreten sind.

Werke

  • Erfühltes und Erfülltes. Gedichte. Gerlingen, Bleicher, 1980.
  • Literarische Essays. Bekenntnisse und Rezensionen. Mit einem Vorwort von Niels Hansen und einer Einleitung von Margarita Pazi. Gerlingen, Bleicher, 1989.

als Mitarbeiter:

  • Meir M. Faerber (Hg.): Stimmen aus Israel. Eine Anthologie deutschsprachiger Literatur in Israel. Gerlingen, Bleicher, 1979.
  • Alice Schwarz-Gardos (Hg.): Hügel des Frühlings. Deutschsprachige Autoren aus Israel erzählen. Freiburg/Basel/Wien, Herder, 1984.

Sekundärliteratur

  • Sieglinde Bolbecher, Konstantin Kaiser (Hgg.): Lexikon der österreichischen Exilliteratur. In Zusammenarbeit mit Evelyn Adunka, Nina Jakl, Ulrike Oedl. Wien/München, Deuticke, 2000, S. 497.
  • Eduard Schneider (Hg.): Literatur in der „Temesvarer Zeitung“ (1918–1949). Einführung, Texte, Bibliographie. München, IKGS, 2003, S. 207–208. [Bibliographie auf der beigelegten CD-ROM]

Weblinks


Zitation

Eduard Schneider: Fritz Naschitz. In: Donau-Karpaten-Literatur: Lexikon zur deutschsprachigen Literatur aus Zentral- und Südosteuropa (2019). URL: https://dokalit.ikgs.de/naschitz-fritz (Stand: 10.5.2024).

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